Exkurs: Sprache – Sie formt unsere Welt
Mir selbst wird das immer bewusster. Je mehr ich eintauche in die Welt von Texten, die sich auf andere als wissenschaftliche Art mit Zusammenhängen auseinandersetzen. Je mehr ich mit Freunden hobbymäßig philosophiere. Je mehr ich von versierten Rednern in mich hinein lasse. Und je mehr ich mit Klienten im Rahmen des Sexualcoachings kommuniziere.
Relativ einfach ist es bei der objektiven Benennung von konkreten Dingen.
Jedenfalls oberflächlich gesehen. So haben wir im Laufe unseres Großwerdens von unseren Eltern oder anderen Bezugspersonen (oder Institutionen wie der Schule) ein umfangreiches Vokabular für unseren Alltag mitbekommen. Wir können auf diese Weise in verbalen Kontakt mit unseren Mitmenschen gehen. Uns austauschen. Über das, was wir sehen. Erleben. Uns wünschen.
Unsere Sprache ist allerdings auch begrenzt.
Das beste Beispiel dafür ist, wie schwer es sein kann, die eigenen Gefühle konkret zu beschreiben. Denn es ist selten so einfach, dass wir sagen könnten, wir sind traurig, wütend oder fröhlich. Das, was wir erleben und fühlen, ist oft sehr viel komplexer. Hat mehr Dimensionen als diese eine. Und es fehlen dafür schlichtweg Worte.
Die Japaner kennen beispielsweise ein Gefühl, das sich yugen nennt.
Es beschreibt ein Gefühl von gleichzeitiger Harmonie, Schönheit und Tiefe. Aus meiner Sicht ein sehr fühlenswertes Gefühl. Beispiele für Situationen, in denen es auftritt, sind das Beobachten von Gänsen, die an einem Herbstnachmittag gen Süden ziehen. Oder die Verabschiedung eines lieben Menschen, der in die Welt auszieht und vielleicht nicht wieder zurück kommt. Ich für mich kenne viele Momente, in denen ich etwas gefühlt habe, was ich gut yugen nennen könnte. Wie ist es bei dir?
Und so ist es auch mit anderen Gefühlen schwer, sie wirklich zu benennen.
Wir haben manchmal keine Worte dafür. Und doch erleben wir es. Es gibt Menschen, die sagen: Was du nicht beschreiben kannst, hast du nicht erlebt… Diese Ansicht finde ich persönlich sehr schade. Es ist unglaublich wichtig, dem zu vertrauen, was wir spüren und fühlen. Auch wenn wir es nicht unmittelbar ausdrücken können.
Wir sollten in unserem Alltag sogar viel mehr darauf schauen, was wir spüren.
Statt in unseren Worten befangen zu sein. Eine schöne Übung ist es, auf der Straße einfach zu schauen. Dabei wahrzunehmen. Und Worte aus diesen Momenten herauszuhalten. Es verändert das, was wir wahrnehmen. So kann unser Sinneseindruck pur, wertfrei und dabei sehr bewusst sein.
Denn: Sprache bewertet.
Nicht immer. Und doch oft. Und selbst wenn das Wort als solches im objektiven Sinne keine Wertung enthält, kann es sein, dass in dir eine Wertung zu diesem Wort gespeichert ist. An dieser Stelle erst einmal unbedeutend, woher diese Bewertung kommt. Vielleicht hast du Interesse, dir ganz für dich, darüber situativ mal bewusst zu werden. Und natürlich kannst du dies auch im sexuellen Kontext tun.
Wie nennst du beispielsweise dein Genital?
Es gibt so unzählige andere Begriffe dafür, was wir im Sexological Bodywork Penis und Vulva/Vagina nennen. Welchen benutzt du? Vielleicht nutzt du auch mehrere. Vielleicht fällt dir dabei auf, dass du in verschiedenen Kontexten verschiedene Begriffe benutzt. Möglicherweise auch eine Bewertung darin steckt. Wenn du möchtest, kannst du dir auch die Frage stellen:
Wie fühlst du dich dabei, wenn du darüber sprichst?
Sei freundlich mit dir, falls du etwas wie Scham oder Peinlichkeit entdeckst. Und auch, falls du feststellst, dass du eigentlich vermeidest, konkret über dein Genital zu sprechen. Mein Vorschlag für dich ist immer: Schau nach einem Begriff, der für dich Wertschätzung und eine liebevolle Haltung gegenüber deinem Genital beinhaltet. Du kannst ihn auch erst einmal nur denken und später einmal verbalisieren.
Denn: Sprache begrenzt.
Solange du einen subjektiv negativ bewerteten Begriff für dein Genital verwendest, ist es möglich, dass es dir schwer fällt, eine freundschaftliche Verbindung zu deinen intimen Stellen aufzunehmen. Unser Bewusstsein funktioniert nämlich so, dass wir manchmal mehr an das glauben, was wir denken und sagen, inklusive der vielleicht unbewussten Bewertung, als an das, was wir wirklich sehen und fühlen. So unterstützt eine sexpositive Sprache eine sexpositive innere Haltung.
Was auch noch wichtig ist: Sprache schafft Bewusstheit.
Ja, manchmal ist es wichtig einfach zu fühlen und zu spüren, ohne dafür direkt Worte zu finden und das Erlebte in ein eventuelles verbales Korsett zu zwingen. Die eigene Welt durch das Weglassen von Sprache zu bereichern. Und genauso ist es wichtig, Bewusstheit darüber zu haben, wie sich etwas anfühlt. Zum Beispiel eine Berührung auf der Haut. Oder der Orgasmus. Denn diese Erlebnisse sind ja oft verschieden. Das macht es so spannend.
Löst eine Berührung eher ein
Kribbeln, Prickeln oder Kitzeln auf der Haut aus? Ist eher Wärme oder eine gewisse Frische dabei spürbar? Ist sie leicht oder deutlich? Ist sie eher fließend, sanft, zärtlich oder dynamisch? Gibt es vielleicht Gänsehaut? Ist sie lokal spürbar oder strahlt sie in andere Bereiche aus? Es lohnt, das mal bewusst zu beobachten.
Ebenso beim Orgasmus…
Schau mal spielerisch in der Phase danach, wie er sich angefühlt hat. War er eher konzentriert und lokal oder vielleicht breit und ausstrahlend? War er kurz, spitz und intensiv? Oder vielleicht lang, wellenartig oder gar überschwemmend? Weich und auslaufend? Oder hart und elektrisch? Und auch die Nach-Orgasmus-Phase kannst du für dich beschreiben. Vermutlich ist die auch nicht immer gleich.
Werde dir darüber bewusst, was in deinem Körper wahrnehmbar ist.
Im ersten Schritt vielleicht auch ohne, es zu verbalisieren. Wenn du so weit bist, kannst du es auch aussprechen. Dadurch wird es dir noch bewusster. Und je öfter du das Verbalisieren übst, desto leichter wird es. Desto eher kannst du sprechen, ohne dass deine Wahrnehmung dabei darunter leidet. Desto eher ist dein Körper geschult, feine Unterschiede zu erleben. Und du hast die Möglichkeit dich und deinen Körper differenzierter zu erleben. Deine Welt über Bewusstheit in Verbindung mit Sprache zu bereichern.
Das alles gilt natürlich auch außerhalb des sexuellen Kontextes.
Und weil wir alle einzigartig sind, nutzen wir Sprache so individuell. Also sei gern kreativ mit deinen Ausdrücken und Beschreibungen. Jeder hat eben sein ganz eigenes Verständnis von Worten. Eine eigene Bewertung dazu. Ein eigenes Gefühl dabei. Eine eigene Welt damit.
Gerade sprachlos 😉